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Stadt jugend ring
Vom Runden Tisch der Jugend zum Dachverband der Jugend(verbands)arbeit
Die Entstehungsgeschichte
Die Mauer fällt! Am 9. November 1989 endet mit dem Fall der Berliner Mauer die jahrzehntelange Teilung Deutschlands. Die Machtstrukturen des SED-Systems (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) befinden sich in der Auflösung. Der Runde Tisch etabliert sich als treibende Kraft für eine demokratische Entwicklung und soll den gesellschaftlichen Übergang mitgestalten. An ihm sitzen Vertreter*innen der Regierung, der Kirchen sowie der Opposition.
Auch in Leipzig gründet sich ein zentraler Runder Tisch. Der kurze Zeit später einberufene Runde Tisch der Jugend versammelt die aktiven Jugendverbände der Stadt. Insbesondere die religiösen Jugendverbände, die bereits über die Stadtökumene miteinander vernetzt sind und schon länger zur DDR-Opposition gehören, tun sich dabei hervor.
Die Deutsche Presseagentur veröffentlicht am 09.11.1989 eine Eilmeldung zur Öffnung der Mauer in Ost-Berlin. Der SED-Politiker Günter Schabowski teilt in einer Pressekonferenz mit, dass die Grenzstellen zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik geöffnet sind. [09.11.1989. Quelle: Wikimedia Commons, Deutsche Presse Agentur / CC BY-SA 3.0]
Nach der Veröffentlichung der neuen Reiseregelungen herrschte in der Nacht zum 10.11. an den Grenzübergangsstellen zu Berlin (West) ein reger Besucherverkehr. Die Abfertigung durch Angehörige der Grenztruppen der DDR und des Zolls am Übergang „Checkpoint Charlie“ verlief friedlich. [10.11.1989. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1110-018, Oberst, Klaus / CC-BY-SA 3.0]
Der Runde Tisch der Jugend der Stadt Leipzig
Die Aufbruchsstimmung ist förmlich zu spüren: Der politische Umbruch zieht sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche. „Für eine starke und vielfältige Interessensvertretung“ findet man sich am Runden Tisch der Jugend zusammen. War die Interessensvertretung junger Menschen bisher staatlich geregelt, muss jetzt eigenverantwortlich gehandelt werden. In einer offenen Atmosphäre kann nun um Positionen gerungen, diskutiert und zugehört werden.
Die zentralen Themen sind damals:
- Wie geht es weiter mit den Jugendclubs und Jugendfreizeitstätten?
- Die unbürokratische Verteilung von 200.000 Mark aus dem SED-Vermögen an die Leipziger Jugendverbände
- Was brauchen wir in Zukunft für die Leipziger Jugend? (Jugendpolitische Forderungen)
Der Runde Tisch der Jugend trifft sich damals vierzehntägig. Es gibt mehrere thematische Arbeitsgruppen (Jugendfreizeitarbeit, Satzung und Jugendpolitische Forderungen). Ein*e Vertreter*in des Runden Tischs der Jugend nimmt stimmberechtigt am großen Runden Tisch der Stadt teil.
Verschiedene Jugendorganisationen, Initiativen und Bewegungen der Jugend bemühen sich seit Januar 1990 um die Interessensvertretung von jungen Menschen. Dazu erarbeiten sie den Standpunkt des Arbeitspräsidiums des Runden Tisches der Jugend Leipzig-Stadt und formulieren hierin die Notwendigkeit zur Gründung eines künftigen Stadtjugendring Leipzig e. V. Die erste Vollversammlung soll am 18.6.1990 stattfinden. [1990. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
Verschiedene Jugendorganisationen, Initiativen und Bewegungen der Jugend bemühen sich seit Januar 1990 um die Interessensvertretung von jungen Menschen. Dazu erarbeiten sie den Standpunkt des Arbeitspräsidiums des Runden Tisches der Jugend Leipzig-Stadt und formulieren hierin die Notwendigkeit zur Gründung eines künftigen Stadtjugendring Leipzig e.V. Die erste Vollversammlung soll am 18.6.1990 stattfinden. [1990. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
Gründung des Stadtjugendring Leipzig e. V.
Die weiteren politischen Entwicklungen gehen rasant voran: Eine schnelle Wiedervereinigung wird zum Ziel. Wie geht es nun weiter mit dem Runden Tisch der Jugend? Man entscheidet sich für eine bundesweit etablierte Form: Der Stadtjugendring Leipzig e. V. soll gegründet werden. In einer Arbeitsgruppe wird dafür alles Wichtige in die Wege geleitet.
Noch vor der Wiedervereinigung findet am 18.06.1990 die Gründungsversammlung statt. Der Vorstand wird gewählt, eine Satzung beschlossen und erste Beschlüsse gefasst. Die 13 Gründungsmitglieder damals sind: Evangelisch-Reformierte Gemeinde, Evangelisch-Lutherische Jugend, Evangelisch-Methodistische Jugend, Katholische Dekanatsjugend, Sportjugend Leipzig e. V., Julia (Junge Liberale), Stadtschülerrat Leipzig, KINDERVEREINIGUNG Leipzig e. V., AG junge GenossInnen PDS, freie deutsche Jugend (FDJ), Junge „Vereinigte Linke“ Leipzig, MJV „Junge Linke“, Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD (Jusos).
Es gibt viel zu tun. Der gesellschaftliche Wandel ist radikal und die Interessen junger Menschen sollen nicht auf der Strecke bleiben. Jugendpolitische Forderungen des Stadtjugendrings weisen dabei den Weg: Was soll erhalten bleiben? Was muss neu geschaffen werden? Was brauchen junge Menschen für ein gutes Aufwachsen in dieser bewegten Zeit?
Am 03.09.1990 wird in Leipzig der Stadtjugendring Leipzig e. V. gegründet und ins Vereinsregister eingetragen. [Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
Ausgehend vom Runden Tisch der Jugend der Stadt Leipzig entwickelt die Arbeitsgruppe „Statut Stadtjugendring“ einen ersten Entwurf zum Statut des Stadtjugendring Leipzig e.V. Hierin wird bereits alles für den Verein wichtige detailliert angebracht. [27.03.1990. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
Die ersten Jahre
Nach der Wiedervereinigung und der Gründung des Stadtjugendrings gibt es weiter viel zu tun im neuen Staat. Ähnlich wie die neugegründeten Jugendring-Strukturen, müssen auch die kommunalen Gremien und (Jugendhilfe)Strukturen erst einmal geschaffen und etabliert werden. Der Stadtjugendring mischt als Interessensvertreter in allen Bereichen mit. Doch nicht alles verläuft dabei reibungslos! Ende 1990 muss die Schaffung eines arbeitsfähigen Jugendamtes und die Gründung des Jugendhilfeausschuss angemahnt werden. Vertreter*innen des Jugendrings werden dabei Teil des Jugendhilfeausschuss.
Der Elan einer anfänglichen Aufbruchsstimmung nimmt in den nächsten Jahren stark ab. „Es hat sich vieles getan, aber wenig bewegt“ ist die Überschrift eines Vorstandberichtes von 1992. Nicht ohne Frust wird dort festgehalten: „Die Kinder- und Jugendarbeit gehört leider nicht zum Aushängeschild von Bund, Ländern und Kommunen“. Sicherung und Erhalt funktionierender Einrichtungen sind wichtige Themen. Ein geringer Stellenwert der Jugendarbeit, eine insgesamt starre Kommune und gleichzeitig ein schwieriger Übergang ins neue Gesellschaftssystem bestimmen die Arbeit. Wird über Jugend gesprochen, dann meist aus einer negativen, problembehafteten Perspektive. Stichworte sind: Jugendgewalt, Jugendkriminalität, Jugendarbeitslosigkeit, Drogen und Rechtsextremismus. Exemplarisch dafür steht auch die Einladung des Stadtjugendrings 1991, im Rahmen einer Sitzung des Regierungspräsidiums, einen Bericht abzuhalten. Es geht um das „Interesse der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“. Gemeinsam sollten „Maßnahmen zur Erkennung von Ursachen wachsender Gewalt und Extremismus sowie der Prävention“ gefunden werden.
Trotz alledem, die Arbeit des Stadtjugendrings entwickelt sich stetig weiter. Neue Jugendverbände werden aufgenommen, Kontakte zu Jugendringen aus Westdeutschlang aufgebaut und gepflegt, der Aufbau des Jugendrings Leipziger Land unterstützt. Die ersten finanziellen Mittel aus dem neugeschaffenen Fördertopf der Jugendförderung können an die Jugendverbände weiterverteilt werden.
Ende 1991 findet die erste große öffentlichkeitswirksame Aktionswoche des Stadtjugendrings unter dem Motto „Jugend in Leipzig“ statt. Eine Woche lang wird ein buntes Programm von Fach- und Diskussionsforen, über Stadtbesichtigungen bis hin zu Kulturveranstaltungen und Disco geboten.
Die erste große öffentlichkeitswirksame Aktionswoche des Stadtjugendrings unter dem Motto „Jugend in Leipzig“. Das Programm zeigt eine bunte Mischung aus Fach- und Diskussionsforen, Kulturveranstaltungen und Disco. [07.10.1991. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
Die erste große öffentlichkeitswirksame Aktionswoche des Stadtjugendrings unter dem Motto „Jugend in Leipzig“. Das Programm zeigt eine bunte Mischung aus Fach- und Diskussionsforen, Kulturveranstaltungen und Disco. [07.10.1991. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
Die Probleme in der Zeit nach dem Mauerfall sind groß. Der Stadtjugendring Leipzig e.V. setzt sich in der Stellungnahme für die schnelle Bildung des Jugendhilfeausschusses und des Jugendamtes ein, um damals beherrschende Themen wie Jugendgewalt, Jugendkriminalität, Jugendarbeitslosigkeit, Drogen und Rechtsextremismus etwas entgegensetzen zu können. [11.10.1990. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
Welche Strukturen der Jugendarbeit und Jugendkultur aus der Zeit der DDR sollen im vereinigten Deutschland Bestand haben? Neben der dem Erhalt der Infrastruktur der Jugendzentren und Jugenderholungsstätten wird auch im Bereich der Jugendkultur um den Erhalt weniger Formate gestritten. Der Stadtjugendring setzt sich für den Erhalt des ehemaligen DDR Jugendradios „DT 64“ ein, da dieses Angebot „einen wichtigen Bestandteil des Lebens vieler Jugendlicher und einen notwendigen Integrationsfaktor für Jugendliche in die Gesellschaft“ darstellt. [28.10.1991. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
Jugend verbands arbeit
Jugendclubs in der DDR und das „JUZ“-Jugendzentrum in der Wasserturmstraße
In der ehemaligen DDR gibt es eine flächendeckende Grundversorgung durch Jugendclubs. Mit der Wiedervereinigung ist unklar, wie es mit den Jugendclubs, die zumeist an Betriebe angegliedert sind, weitergeht. Der Einsatz für den Erhalt ist eines der zentralen Themen des Stadtjugendrings und des Jugendhilfeausschusses in den Umbruchjahren.
Einige Jugendclubs werden geschlossen, andere Jugendclubs durch die Stadt oder freie Träger übernommen. Von 100 Jugendclubs vor der Wiedervereinigung können nur 13 Einrichtungen gerettet werden.
1991 übernimmt der Stadtjugendring die Trägerschaft für das ehemalige „RIFT“ in der Wasserturmstraße 68. Täglich besuchen zwischen 50 und 60 Menschen im Alter von 10 bis 25 Jahren das nun in „JUZ“ umbenannte Haus. Zu den legendären Discos am Mittwoch und Freitag kommen regelmäßig etwa 100 junge Menschen. 1997 gibt der Stadtjugendring die Trägerschaft für den Jugendclub wieder ab. Fortan möchte man sich auf das Kerngeschäft konzentrieren: Die Jugendpolitik, Interessensvertretung und Beratung.
Nach und nach werden auch wieder neue Jugendeinrichtungen in der Stadt Leipzig eröffnet. An die 100 Jugendclubs vor der Wiedervereinigung kommt diese Entwicklung aber nicht mehr heran.
„JUZ“ – Jugendzentrum in der Wasserturmstraße: 1991 übernimmt der Stadtjugendring die Trägerschaft für das ehemalige „RIFT“ in der Wasserturmstraße 68. Täglich besuchen zwischen 50 und 60 Menschen im Alter von 10 bis 25 Jahren das nun in „JUZ“ umbenannte Haus. [1991. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
1991 wird ein Übersichtsplan des Jugendzentrums entworfen. [1991. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]
Jugendpolitische Forderungen
Jugendpolitische Forderungen fassen die Interessen junger Menschen in politischen Schwerpunkten zusammen. Die vielfältigen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen werden hierbei aufgegriffen und in Forderungen inhaltlich definiert. Diese richten sich anschließend an Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft.
1990 hat der Stadtjugendring Leipzig e. V. auf seinem ersten Hauptausschuss seine eigenen Jugendpolitischen Forderungen nach langer Diskussion beschlossen und an den Stadtrat übergeben.
Der gesellschaftliche Wandel war damals radikal und die Interessen junger Menschen durften nicht auf der Strecke bleiben. Mit den Jugendpolitischen Forderungen des Stadtjugendrings Leipzig wurden die damals entscheidungsbefugten Politiker*innen in Leipzig direkt angesprochen: Was soll bewahrt werden? Was muss neu geschaffen werden? Was brauchen junge Menschen für ein gutes Aufwachsen in dieser bewegten Zeit?
Die Schwerpunkte waren damals:
• Unterstützung des Stadtjugendrings und der einzelnen Organisationen
• Jugend und Bildung
• Jugend und Arbeit
• Jugendfreizeitarbeit
• Jugend und Familie
• Umwelt, Gesundheit und Sport
• Jugendbegegnungsarbeit
Viele der damaligen Themen sind bis heute relevant für junge Leipziger*innen. Deshalb möchte der Stadtjugendring 30 Jahre später diese Jugendpolitischen Forderungen aktualisieren und damit an die Öffentlichkeit, die Stadtpolitik und Verwaltung herantreten, um sich dafür stark zu machen.
Die Jugendpolitischen Forderungen des Stadtjugendring Leipzig e. V. fassen die Interessen junger Menschen in politischen Schwerpunkten zusammen. Die vielfältigen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen werden hierbei aufgegriffen und in Form von Forderungen inhaltlich definiert. Diese richten sich dann an Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft. [1990. Quelle: Archiv Stadtjugendring Leipzig e. V.]